1940 trafen die ersten italienischen Arbeiter für den Bergbau im Ruhrgebiet ein. Es waren Arbeitskräfte, die Italien im Tausch gegen deutsche Kohlelieferungen schickte. Italien war durch seine Eroberungspläne im Mittelmeerraum außenpolitisch isoliert, bis auf die Bindung an den faschistischen Bündnispartner Deutschland. Ohne eigene nennenswerte Kohlevorkommen, war Italien vollkommen abhängig von deutscher Kohle. Deutschland lieferte angesichts des eigenen Arbeitskräftemangels unter der Bedingung, dass Italien die zur Förderung benötigten Bergleute stellte.
Die ersten Italiener wurden als „Arbeitskameraden“ oder gar „Arbeiter-Gäste“ begrüßt, was ihre privilegierte Stellung gegenüber anderen ausländischen Zivilarbeitern dokumentierte. Als 1941 bei einem Brand in einer Baracke der Zeche Emscher-Lippe zwanzig Italiener umkamen, inszenierte man die Überführung der Leichen nach Italien zu einer Propagandaveranstaltung der „Achsenpartnerschaft“.

 

„Fremdvölkische Bundesgenossen“

Die Rassenideologen des deutschen Reiches waren nicht begeistert von der steigenden Zahl Ausländer, die in Deutschland arbeiteten. Sie hatten die Beschäftigung der so genannten „Fremdarbeiter“ nur als vorübergehende, aus der Not geborene Maßnahme akzeptieren wollen. Doch Mitte 1939 waren bereits 525.000 Ausländer im Deutschen Reich beschäftigt und im Zuge von Hitlers Eroberungskriegen ersetzten immer mehr Kriegsgefangene die deutschen Arbeiter, die als Soldaten an die Front mussten.
Die Italiener waren als Faschisten politische und militärische Bundesgenossen der Nationalsozialisten, doch in den Augen der Rasseideologen waren sie als Mittelmeervolk minderwertiger. So unterschied man bei den aus den besetzten Gebieten stammenden Arbeitern, darunter auch nach Frankreich ausgewanderte Italiener, germanische und fremdvölkische Arbeiter:
„[...] Es sind daher bei Arbeitnehmern germanischer Abstammung einerseits und bei fremdvölkischen Arbeitnehmern andererseits verschiedene Maßstäbe anzuwenden. [...] Als Arbeitnehmer germanischer Abstammung sind die Arbeitnehmer mit niederländischer, dänischer, norwegischer Staatsangehörigkeit und flämischer Volkstumszugehörigkeit anzusehen. [Es] werden die fremdvölkischen Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten im wesentlichen aus Nordfrankreich und Belgien kommen. Hierbei handelt es sich nicht nur um Franzosen und Wallonen, sondern darüber hinaus auch um Polen, Tschechen Jugoslawen, Slowaken, Italiener usw. Wenn sich daher unter den vorgenannten fremdvölkischen Arbeitnehmern auch Personen mit der Staatsangehörigkeit neutraler oder befreundeter Staaten befinden, so ist doch eine Gleichbehandlung dieser Gruppe von Arbeitnehmern unbedingt erforderlich, zumal sie bisher [...] alle ihre Arbeitskraft den Feindmächten zur Verfügung gestellt haben.
[...] Es muss sichergestellt werden, dass ein Geschlechtsverkehr dieser ausländischen Arbeitskräfte mit deutschen Volksgenossen nicht stattfindet. [...] Im übrigen ist zu bedenken, dass die fremdvölkischen Arbeitnehmer lediglich als Personen zu betrachten sind, die vorübergehend ihre Arbeitskraft zum eigenen materiellen Nutzen im Reich zur Verfügung stellen. Dementsprechend ist eine Sesshaftmachung dieser Personen auf deutschem Boden unerwünscht und zu verhindern. Streng zu unterbinden ist daher auch das Nachkommen von Familien der fremdvölkischen Arbeitnehmer. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses müssen vielmehr sämtliche fremdvölkische Arbeitnehmer in ihre bisherigen Wohngebiete zurückkehren. [...]“

Auszüge aus dem Schnellbrief des Reichsführers SS (S - VI D S - 439/40) vom 14.01.1941 / betrifft Staatspolizeiliche Behandlung der im Reich eingesetzten ausländischen Arbeitnehmer aus den besetzten Gebieten im Westen und Norden des Reiches

Bergbau-Archiv Bochum

Diese widersprüchliche Beurteilung der Italiener hatte zur Folge, dass ihre Behandlung je nach politischer und militärischer Gesamtlage schwankte. Die ersten italienischen Zivilarbeiter wurden bevorzugt behandelt. So wurden z.B. italienische Köche eingestellt und aus Italien Lebensmittel wie Parmesankäse, Tomatenmark oder Rotwein importiert, um den Arbeitern die Eingewöhnung zu erleichtern. Deutsche Kollegen beschwerten sich über diese bessere Behandlung der Italiener.

 

Bei Vertragsbruch Gefängnis

Die Italiener besaßen die gleichen Rechte wie die deutschen Arbeiter, unterlagen aber auch, wie diese, der nach dem Führerprinzip organisierten und staatlich gesteuerten Arbeitsplatzorganisation.
So hatten sie keinen Einfluss auf die Wahl ihres Arbeitsplatzes, konnten willkürlich versetzt werden und durften nicht eigenständig die Stelle wechseln.
Funktionäre der faschistischen Partei oder der faschistischen Gewerkschaften Italiens betreuten die Zivilarbeiter in Deutschland. In den Räumlichkeiten der „Deutschen Arbeitsfront“ in Bochum war die Confederazione Fascista untergebracht. Deren Mitarbeiter sollten unter Aufsicht der DAF alle auftretenden sozialpolitischen oder bürokratischen Fragen zentral regeln. Dabei waren sich die italienischen Faschisten und die deutschen Nationalsozialisten einig, harte Methoden anzuwenden, wenn es um die Durchsetzung der Arbeitsverträge ging. Italienische Arbeiter, die sich aus Angst weigerten, in die Grube einzufahren, sperrte man kurzerhand ins Gefängnis, damit sie ihre Meinung änderten.

 

Hohe Abkehr

1942 zeigte sich, dass von den angeworbenen Italienern nur noch wenige im Bergbau geblieben waren.

„[...] Von denen insgesamt bisher in den Ruhrbergbau vermittelten 14 040 italienischen Arbeitskräften waren am 4.letzten Arbeitstag im April nur noch 3844 beschäftigt. In Anbetracht der außerordentlich hohen Abgänge sind die Italienerlager zurzeit durchweg nur noch schwach belegt. Eine Zusammenlegung der Italiener ist daher dringend erwünscht. [...]“

Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr der Wirtschaftsgruppe Bergbau an die Friedrich Krupp AG, Essen 26.05.1942

Bergbau-Archiv Bochum 20-101

Nur den wenigsten Italienern war bei der Anwerbung klar, was Arbeit unter Tage wirklich bedeutete. Einige waren beim Aufbruch aus Italien erst gar nicht darüber informiert worden, welche Art Arbeit sie in Deutschland ausüben würden. Nachdem man ihnen die Stellen in den Zechen zugewiesen hatte und sie vor Ort die Arbeitsbedingungen sahen, wollten sie so schnell wie möglich die harte und gefährliche Arbeit wieder aufgeben. Auch die Luftangriffe der Alliierten aufs Ruhrgebiet bewogen viele, nicht mehr aus dem Heimaturlaub zurückzukehren.
Die Bergwerke stellten guten Arbeitern einen höheren Verdienst in Aussicht, damit sie nach der Urlaubsheimfahrt zur Familie nach Italien wieder zurück zur Zeche kamen. Um eine hohe Abkehr zu verhindern sollten außerdem die bisher nur für ein halbes Jahr geltenden Arbeitsverträge grundsätzlich auf ein Jahr festgesetzt werden.

 

Italien zahlt für Deutschland

Seit 1934 regelte das so genannte Clearingabkommen den Wirtschaftsgüteraustausch zwischen Italien und Deutschland. Das Deutsche Reich verfügte nur über geringe Devisen, deshalb sollten keine direkten Währungsströme zwischen beiden Ländern fließen, sondern der jeweilige Händler meldete einer Clearing-Stelle den Wert der ex- oder importierten Waren, die aus einem Fond abgerechnet wurden. Besonders die Lohnersparnisse, die italienische Zivilarbeiter in die Heimat zu ihren Familien schickten, belasteten das System. Italien musste die Überweisungen an die Familien vorstrecken, erhielt aber nicht genügend Warenlieferungen aus Deutschland, die man mit dieser Summe hätte verrechnen können. Auch die Kohlelieferungen aus Deutschland erreichten nie die zugesagten Mengen. Trotzdem forderte das deutsche Reich weiter immer größere Kontingente an Facharbeitern aus Italien an.
Mussolini hatte, parallel zu Hitlers Eroberungszügen, eigene Kriege im Mittelmeerraum und dem Balkan eröffnet. Er konnte diese aber nicht aus eigener Kraft siegreich zu Ende bringen und war auf die Hilfe der deutschen Wehrmacht angewiesen. Diese politische und militärische Abhängigkeit hatte zur Folge, dass Mussolini in wirtschaftlichen Fragen Zugeständnisse machen musste. Er gab den Forderungen Deutschlands nach weiteren Arbeitern nach, obwohl das Missverhältnis im Clearingverhältnis zu Ungunsten Italiens immer größer wurde. So wurden 1941aus italienischen Betrieben Facharbeiter herausgezogen und zur Arbeit nach Deutschland abgestellt. Ungefähr 50.000 von ihnen wurden durch „Auskämmung“ italienischer Betriebe gewonnen. Stück für Stück nahm die Anwerbung von „Fremdarbeitern“ einen Zwangscharakter an.
Die italienische Industrie war mit solchen Verfahren nicht einverstanden:

„[...] Die führenden Kreise der italienischen Industrie arbeiten gegen die Abgabe von Industriearbeitern an Deutschland, weil sie arbeitseinsatzmäßige Schwierigkeiten in ihren eigenen Betrieben befürchten. Der italienische Industrielle ist an ein gewisses Angebot von Arbeitskräften gewöhnt, auf das ungern verzichtet wird. Hinzu kommt die neuerdings hier festgestellte Befürchtung, Deutschland beabsichtige, die von Italien geplante industrielle Entwicklung durch die Abziehung gewerblicher Arbeitskräfte zu beeinträchtigen und Italien für immer die Rolle eines Agrarstaates mit unbedeutender Industrie zuzuweisen. [...]“

Politisches Archiv des auswärtigen Amtes, Staatssekretär, Italien, Band 8, Telegramm vom 2.5.1942, in:Cesare Bermani, Sergio Bologna, Brunello Mantelli: Proletarier der „Achse“, Berlin 1997, Seite 236

1943 forderte die italienische Regierung, dass angesichts der inzwischen weiter verschlechterten Clearingbilanz alle Arbeiter nach Italien zurückgeführt werden sollten. Nach langen Verhandlungen stimmte Hitler dem zu.
„[...] An unsere Mitglieder! Betr.: Rückführung der italienischen Arbeiter aus Deutschland In der Anlage geben wir Ihnen auszugsweise Kenntnis von dem Erlaß des GBA an die Herren Präsidenten der Landesarbeitsämter vom 15. April d.J., in dem angeordnet wird, dass die im Reichsgebiet beschäftigten Italiener bis Ende Dezember d.J. sämtlich in ihre Heimat zurückgeführt sein müssen. [...] Wir machen besonders darauf aufmerksam, dass nach diesem Erlaß für sämtliche Italiener eine sofortige Urlaubssperre angeordnet ist. [...]“

Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr der Wirtschaftsgruppe Bergbau, Rundschreiben Nr.217, Essen, den 8.Mai 1943.

Bergbau-Archiv Bochum 15-265

Als am 8. September 1943 General Eisenhower die Unterzeichnung des Waffenstillstandes mit Italien bekannt gab, wurde die Ausreise von italienischen Zivilarbeitern in ihre Heimat gestoppt. 120.000 italienische Arbeiter blieben im Deutschen Reich zurück. Sie wurden gezwungen bis zum Kriegsende 1945 weiter in Deutschland zu arbeiten.

Dietrich Hackenberg, Dortmund 2005

Literatur zum Thema
- Cesare Bermani, Sergio Bologna, Brunello Mantelli: Proletarier der „Achse“, Berlin 1997
- Ralf Lang, Italienische „Fremdarbeiter“ im nationalsozialistischen Deutschland 1937-1945, Frankfurt am Main 1996