Nach Einlieferung in die Arbeitslager mussten die Internierten täglich Schwerstarbeit in Betrieben und Zechen des Ruhrgebiets leisten. Frühere Bauern, Bäcker, Fischer oder Lehrer schufteten jetzt unter Tage. Sie verstanden die deutschen Befehle der Steiger nicht und hatten kein Gefühl für die Gefahren, die im Bergwerksstollen drohten. Körperlich waren sie nach den Strapazen der Gefangennahme und des Transports in die Stalags sehr geschwächt. Entsprechend gering war die Arbeitsleistung der Internierten. Auf eigene Initiative hin kürzten einige Betriebe die Essensrationen der Zwangsarbeiter, um sie zu höherer Arbeitsleistung anzutreiben. Ein Führerbefehl unterstützte diese Maßnahmen. Der Teufelskreis von Unterernährung, Leistungsabfall und weiterer Nahrungskürzung wurde in Gang gesetzt. Viele Internierte erkrankten an Hungerödemen oder starben körperlich geschwächt an Krankheiten wie TBC.
In den ersten Monaten nach dem 8. September 1943 bestimmte der Wunsch nach Rache die Behandlung der italienischen Militärinternierten. Sie sollten für den „Verrat Badoglios“ büssen. Wirtschaftliche Interessen traten in den Hintergrund. Allerdings gab es auch Stimmen, die mahnten, dass nur wer genug zu essen bekäme und seinen Gewohnheiten entsprechend ernährt würde, Leistung bringen könnte:
„[...] Bei der heute allgemein üblichen Einstellung zu den Italienern wird man leicht geneigt sein, diese ohne Rücksichtnahme auf ihre Eigenart zu behandeln. So heißt es, [...]
dass die militärinternierten Italiener hinsichtlich der Verpflegung wie westliche Kriegsgefangene behandelt werden sollen, d.h. dass sie an die Ausländerküchen angeschlossen werden. Das scheint mir nicht unbedingt richtig zu sein. Die meisten Italiener vertragen das Essen nur so, wie sie es bisher in ihrer Heimat gewöhnt waren. Wird dieser Umstand nicht berücksichtig, dann wird man in grossem Umfang mit Krankheitsfällen und wenig leistungsfähigen Leuten rechnen müssen. Gleiche Erfahrungen haben wir im vorigen Jahr mit den Russen machen müssen, die auf regierungsseitige Anordnung nur Gefangenenkost bekamen. Die Folge war, dass ihre Kräfte bei der schweren Grubenarbeit bald nachliessen, sie krank wurden und damit für die produktive Arbeit ausfielen. Um mit den jetzt zum Einsatz kommenden Militärinternierten Italienern nicht schon bald dieselben Erfahrungen machen zu müssen und demnächst mehr unterernährte Italiener als leistungskräftige Arbeitskräfte zu haben und um mit diesen Leuten eine Höchstleistung zu erreichen, empfehle ich, aus den militärinternierten Italienern einen Koch oder angelernten Koch für die Zubereitung der Speisen einzusetzen, der mit den vorhandenen Lebensmitteln eine Kost zubereitet, die in etwa der italienischen Küche entspricht. [...]“

Schreiben der Friedrich Krupp Aktiengesellschaft an verschiede Bergwerksdirektoren , Essen 15.10.1943

Bergbau-Archiv Bochum 20-242

Severino S.
Am 13.06.1944 um 8.30 Uhr im Arb.Kdo. 722 Bochum Hiltrop gestorben
Todesursache: Schädelbasisbruch. Bei der Kohlengewinnung tödlich verunglückt.
Dienstgrad: Obergefreiter
Zivilberuf: Bäcker
Arbeitskommando: in Bochum Hiltrop

Giovanni R.
Am 28.04.1944 um 19.30 Uhr im Arbeitskommando 556/I in Herten-Scherlebeck verstorben
Todesursache: Brustwirbelsäulenfraktur, Betriebsunfall.
Dienstgrad: Soldat
Zivilberuf: Bauer
Arbeitskommando: Zeche Schlegel & Eisen in Herne

Todesfälle bei im Bergbau eingesetzten Militärinternierten, Auszüge aus Personalkarten

Stadtarchiv Hemer

„Ernährungsversuch Kraut“

Die Krankheitsausfälle bei den Italienern wurden so groß, dass die Produktivität der Betriebe darunter litt. Seit 1943 gab es Vorgaben der Reichspropagandaleitung für die Behandlung von ausländischen Arbeitskräften:
„[…] Dem Ziel den Krieg siegreich zu beenden hat sich alles unterzuordnen. Die im Reich tätigen ausländischen Arbeitskräfte sind daher so zu behandeln, dass ihre Zuverlässigkeit erhalten und gefördert wird. […]“

Sonderdienst der Reichspropagandaleitung, Merkblatt, Die fremdländischen Arbeiter im Reich 11.08.1943

Bergbau-Archiv Bochum 20-242

„[…] Menschen sind nun einmal nicht selbst der kompliziertesten Maschine vergleichbar, die ja neben der Energiequelle oder dem Betriebsstoff auch Schmieröl braucht und der ich eine sorgfältige Pflege angedeihen lassen muss. Auch der primitivste Mensch besitzt ein Gemütsleben, einen Eigenwillen, ohne dessen Berücksichtigung eben eine zufriedenstellende, ja beste Dauerleistung undenkbar ist. Da wir aber die fremden Arbeitskräfte jahrelang brauchen und auch deren Ersatz sogar sehr begrenzt ist, kann ich sie nicht kurzfristig ausbeuten und ihr Arbeitsvermögen nicht verwirtschaften lassen. Ich muss sie vielmehr zu erhalten und ihre Leistungen dauernd zu verbessern trachten. […]“

Auffassung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Saukel über die Behandlung und Betreuung fremdvölkischer ausländischer Arbeiter und Arbeiterinnen

Bergbau-Archiv Bochum

Aber erst Mitte 1944 setze sich dieses betriebswirtschaftliche Kalkül auch bei der Behandlung der Militärinternierten durch und man machte sich Gedanken, wie man die schlechte Arbeitsleistung der Italiener verbessern könnte. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie mit Sitz in Dortmund startete eine Versuchsreihe. Es sollte wissenschaftlich untersucht werden, wie Arbeitsleistung und Verpflegung zusammenhängen. Unter Leitung von Professor Dr. Heinrich Kraut wurden russische Kriegsgefangene und italienische Militärinternierte unter anderem auf der Zeche Radbod in Hamm getestet.
Man hoffte, ideale Lebensmittelrationen ermitteln zu können, mit denen die Arbeitsleistung der ausländischen Arbeitskräfte zu steigern und die Unfall- und Krankheitsquote zu senken wäre.
„[…] Hoesch AG, Zeche Radbod.
[…] a) Leistungsentwicklung:
[…] Dass es sowohl den Russen, wie den Italienern gelang, mit einer nur 90 % der Deutschen betragenden Ernährung die deutsche Normalleistung um 10 % zu überbieten, war dadurch möglich, dass die Ausländer durch die Unterbringung in einem neben der Zeche befindlichen Lager nur sehr geringe Körperbewegungen ausserhalb der Arbeit ausführen. Hinzu kommt, dass sie die ihnen zugeteilte Nahrung völlig für sich verbrauchen, während der deutsche Bergmann bekanntlich einen Teil seiner Zulage seiner Familie zukommen lässt, und dadurch seine Leistungsmöglichkeit einschränkt. Die hohe Durchschnittsleistung der Ausländer zeigt aber, dass auf dieser Zeche die Leistungsbereitschaft völlig mit der Leistungsfähigkeit Schritt hielt. Dies war nur möglich durch eine ebenso sichere wie verständnisvolle Behandlung und Führung der ausländischen Arbeitskräfte. […]“

Ergebnisse des Ernährungsversuchs, Anlage 6 zum 2. Bericht vom 4.11.44.

Bergbau-Archiv Bochum 10-525

Zivilstatus

Die Regierung unter Mussolini beklagte sich, dass die schlechte Behandlung der gefangenen Italiener durch die Deutschen dem Ansehen der Republik von Salò schade. Die Unterstützung der italienischen Bevölkerung für Mussolinis faschistische Republik war immer geringer geworden, je mehr Details über die Gefangennahme der italienischen Soldaten bekannt wurden. Deshalb befahl die deutsche Regierung im August 1944 den Arbeitskommandos, die italienischen Militärinternierten in den Zivilstatus zu überführen.
Für die deutsche Industrie besaßen die in den Zivilstatus überführten italienischen Arbeiter einen eigenen Vorteil, sie konnten auch in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden und waren der Kontrolle des Roten Kreuzes entzogen.
„[…] Laut Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht vom 12.Augsut d.J. sind die italienischen Militärinternierten beschleunigt in das zivile Arbeitsverhältnis zu überführen. Die Überführung muss bis zum 31.August 1944 abgeschlossen sein. Sie erfolgt am Arbeitsplatz, d.h. ein Wechsel der Beschäftigungsstelle tritt hierdurch nicht ein. Für die Durchführung des Verfahrens im einzelnen hat das OKW folgendes angeordnet:
Die zur Entlassung Kommenden haben eine Erklärung zu unterschreiben, wonach sie in Deutschland zu den für die in Italien angeworbenen zivilen Arbeitskräften geltenden Bedingungen bis zum Kriegsende zu arbeiten haben. Unterschriftsverweigerer verbleiben in der Internierung.
[…] Die Militärinternierten sind vor ihrer Entlassung in geeigneter Form darauf hinzuweisen, dass sie die Wiedererlangung ihrer Freiheit einzig und allein den Bemühungen des Duce und der Grossherzigkeit des Führers zu verdanken haben.
[…] Imis, welche die Überführung in das zivile Arbeitsverhältnis ablehnen, werden zum Stalag Hemer zurückgebracht mit dem Ziel, von dort aus erneut im Bergbau als Internierte unter militärischer Überwachung eingesetzt zu werden. […]“

Rundschreiben Nr. 86 der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr, Essen 23. 08.1944

Bergbau-Archiv Bochum 15-265

Vielerorts weigerten sich die Militärinternieren vorgelegte Einverständniserklärungen zu unterschreiben.
Viele Internierte hatten Angst, als Folge ihrer Einwilligung zum Militärdienst eingezogen zu werden, finanzielle Ansprüche zu verlieren oder ihre Angehörigen in dem von den Alliierten besetzen Süd- und Mittelitalien in Gefahr zu bringen. Im September wurden sie deshalb zwangsweise zu zivilen Arbeitern erklärt.
„[…] Hiernach werden sämtliche IMI mit Ausnahme der Ihnen bereits mit unserem obigen Rundschreiben mitgeteilten Fälle zwangsweise in das zivile Arbeitsverhältnis überführt.
Infolgedessen werden in Wehrüberwachung stehende IMI im Ruhrbergbau praktisch nicht mehr beschäftigt. Demnach sind die bisherigen militärinternierten Italiener vom 1.Sept.d.J. ab auch in sämtlichen statistischen Nachweisungen als zivile Ausländer zu führen. […]“

Rundschreiben Nr. 106 der Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr, gez. Fellinger, Essen, 26.09.1944

Bergbau-Archiv Bochum

Durch die Erlangung des Zivilstatus verbesserte sich die Situation vieler ehemaliger Internierter. Doch das änderte sich wieder, als in den letzten Kriegsmonaten das Ruhrgebiet massiv bombardiert und die allgemeine Versorgung immer schlechter wurde.

Dietrich Hackenberg, Dortmund 2005

Literatur zum Thema:
- Gabriele Hammermann, Zwangsarbeit für den Verbündeten / Die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Militärinternierten in Deutschland 1943 -1945, Tübingen 2002
- Hagener Geschichtsverein, Hagener Geschichtshefte 5 / Teil 2, Hagen 2002
- Ralf Lang, Italienische „Fremdarbeiter“ im nationalsozialistischen Deutschland 1937-1945, Frankfurt am Main 1996
- Istituto di Storia Contemporanea “Pier Amato Perretta", Como: http://www.schiavidihitler.it/
- Historisches Centrum Hagen, Zwangsarbeit in Rheinland und Westfalen 1939-1945: http://www.historisches-centrum.de/zwangsarbeit/
- Eberhard Thomas, Das Kriegsgefangenenlager / Stalag VI A und Zwangsarbeiter in Hemer: http://www.maerkischer-kreis.de/zwangsarbeit/das_kriegsgefangenenlager.html
- Klaus Tenfelde/Hans-Christoph Seidel (Hg.): Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg – Forschungen, Essen 2005
- Thomas Urban, Überleben und Sterben von Zwangsarbeitern im Ruhrbergbau, Münster 2002
- Thomas Weiß / Anja Kuhn (Hg.), Zwangsarbeit in Hattingen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe / Westfälisches Industriemuseum, Quellen und Studien, Band 8, Essen 2003